Kommentar | Rot-grün-rote Koalitionsverhandlungen - Nach der Hürde ist vor der Hürde
Mit der Einigung zur Stadtentwicklungs-Politik sind die letzten Zweifel ausgeräumt: Diese Verhandlungen werden nicht mehr scheitern, der Koalitionsvertrag wird zeitnah stehen. Aber danach wird’s unsicher, kommentiert Sabine Müller.
Natürlich ist es ein bisschen riskant, sich schon Tage vor Abschluss der Koalitionsverhandlungen festzulegen, schließlich gilt doch "Nichts ist geeint, bevor nicht alles geeint ist". Aber: Wer so klar wie die Spitzen von SPD, Grünen und Linken signalisiert, dass sie diese Neuauflage wollen, der macht auch auf den letzten Metern nicht mehr schlapp. Zumal das, was jetzt noch kommt, vergleichsweise leicht wird, nachdem die drei Parteien die wohl größte Hürde genommen haben. Oder besser gesagt: umschifft haben.
Das Wörtchen "gegebenenfalls"
Der Umgang mit dem Enteignungs-Volksentscheid war der Punkt, an dem diese Verhandlungen am ehesten auseinanderzufallen drohten. Weil SPD-Chefin Franziska Giffey, die manche immer noch für eine Rot-Grün-Rot-Skeptikerin halten, so klar erklärt hatte, was sie von Zwangs-Vergesellschaftungen hält – nämlich nichts. Weil die Linken-Spitze so viel Druck von ihrer Basis hatte, in den Koalitionsvertrag zu schreiben, dass ein Gesetzentwurf zur Enteignung großer, privater Wohnungsfirmen zwingend vorgelegt werden muss.
Die Kompromisslinie sieht nun einen klaren Arbeitsauftrag an eine Expertenkommission vor. Sie soll innerhalb eines Jahres nicht nur klären, ob eine Zwangs-Vergesellschaftung verfassungsrechtlich sauber hinzukriegen ist, sondern sie soll auch konkrete Vorschläge zum wie machen.
Danach ist aber alles offen, denn Franziska Giffey betonte mehrfach, im Senat werde es nicht nur darum gehen, ob das Ganze verfassungskonform sei, sondern zum Beispiel auch um die Abwägung der finanziellen Folgen. Im Koalitionsvertrag wird stehen, dass der Senat "gegebenenfalls" Eckpunkte für ein Vergesellschaftungs-Gesetz vorlegt. "Gegebenenfalls" ist von "zwingend" ungefähr so weit entfernt wie der Modegeschmack von Franziska Giffey und Klaus Lederer.
Zittern vor dem Votum der Mitglieder
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Mitglieder der Linken laufen im Netz teilweise Sturm und fordern, der Koalitionsvertrag dürfe so auf keinen Fall durchgehen. Das müssen alle drei Parteien ernst nehmen, denn der Vertrag kann nur dann in Kraft treten, wenn ihn auch die Linke per Mitglieder-Entscheid absegnet. Als das rot-grün-rote Sondierungs-Papier bei der linken Basis für Ärger sorgte, konnten die Spitzenleute noch beruhigend erklären, man werde bei den Koalitionsverhandlungen nachschärfen. Dieses Argument wird ihnen jetzt nicht mehr zur Verfügung stehen, es hat sich ausgeschärft. Klaus Lederer und Co. werden darauf setzen müssen, dass der Vertrag als Gesamtpaket so attraktiv ist, dass es letztlich für ein "Ja" reicht. Aber es werden zwei Wochen Zitterpartie bis kurz vor der geplanten Bürgermeisterinnen-Wahl vor Weihnachten.
Koalition auf Abruf?
Selbst wenn alles gut geht, selbst wenn alle drei Parteien zustimmen: Über der rot-grün-roten Koalition wird von Beginn an das Damokles-Schwert des Scheiterns hängen. Denn 2023 kommt die Frage des Volksentscheids auf Wiedervorlage, wenn die Expertenkommission ihre Vorschläge an den Senat weiterreicht. Schwer vorstellbar, dass die Linke den Bürger:innen-Willen dann nicht mehr umsetzen will oder die SPD bis dahin ihr Herz für Zwangs-Vergesellschaftungen entdeckt hat.
Also wird dann deutlich zu Tage treten, was natürlich auch jetzt allen klar ist: SPD, Grüne und Linken haben den Konflikt nicht gelöst, sondern nur verschoben. Die linke Basis wird Klaus Lederer an seine Aussage auf dem Parteitag im Oktober erinnern, dass man dann im Zweifel rausgehen müsse aus der Koalition. Die rot-grün-rote Bruchstelle ist programmiert.