Analyse | Start der Koalitionsverhandlungen - Eine GroKo, die keine ist
CDU und SPD beginnen mit ihren Koalitionsverhandlungen für ein schwarz-rotes Bündnis in Berlin. Regieren auf Augenhöhe - das verspricht die CDU und nichts Geringeres erwartet die SPD. Doch das Bündnis birgt für beide Parteien Risiken. Von Thorsten Gabriel
CDU und SPD, Hand in Hand – ist das schon Retro? Oder doch eher altbacken, eine Bündniskombination, von der man dachte, dass sie sich überlebt hat? Derzeit gibt es keine andere CDU-SPD-Regierung in Deutschland. Fest steht zumindest: Eine "GroKo", eine "große" Koalition ist das nicht, was Christ- und Sozialdemokraten da in der Hauptstadt vorhaben.
Erstens, weil die SPD als Zweitplatzierte mit 18,4 Prozent ziemlich verzwergt aus der Abgeordnetenhauswahl am 12. Februar hervorgegangen ist. Zweitens, weil der Abstand zu den drittplatzierten Grünen lediglich 53 Stimmen beträgt. Beide Parteien landeten bei 18,4 Prozent – weit hinter der Wahlsiegerin CDU mit ihren 28,2 Prozent.
Dass CDU und SPD nun – wieder einmal – zueinander gefunden haben, ist unterschiedlichen Motivlagen geschuldet. Für die SPD-Spitze um die noch Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey erscheint ein Bündnis mit der CDU als das "kleinere Übel" im Vergleich zu einer Fortsetzung des rot-grün-roten Bündnisses mit Grünen und Linken. Zu sehr hatte sich vor allem Giffey immer wieder mit ihrer grünen Stellvertreterin im Senat, Verkehrssenatorin Bettina Jarasch, öffentlich gezofft. Überhaupt waren zuletzt alle internen Koalitionskonflikte auf offener Bühne ausgetragen worden. Um Vertrauen und Vertraulichkeit war es zwischen SPD, Grünen und Linken am Ende nicht mehr allzu gut bestellt.
Herzlichkeit vs. Schnittmengen
Für CDU-Landeschef Kai Wegner ist ein Bündnis mit der SPD dagegen die Variante "Nummer sicher". Im Wahlkampf hatte er anfangs noch unverhohlen mit den Grünen geflirtet und vor allem die SPD angegriffen. Nach den Silvesterkrawallen in Berlin und der darauffolgenden Sicherheitsdebatte ging es auch gegen die Grünen härter zur Sache. Zwischenzeitlich sah es danach aus, als könnte Wegner es sich mit beiden verscherzt haben und trotz Wahlsiegs leer ausgehen.
Die Sonderungsgespräche mit SPD und Grünen liefen dann allerdings rund. Zu den Grünen waren die inhaltlichen Gräben zwar größer, das menschliche Miteinander aber umso herzlicher. Mit der SPD gab es dafür die größeren inhaltlichen Schnittmengen.
CDU-Chef Wegner bleiben nur dreieinhalb Jahre zum Profilieren
Diese Schnittmengen waren am Ende ausschlaggebend für Wegner, sich auf die SPD einzulassen. Das betonte der CDU-Chef, nachdem ihm sein Landesvorstand am vergangenen Donnerstag Rückendeckung für die Verhandlungen gegeben hatte. Fast wichtiger war allerdings, wie ausführlich er dabei den Grünen für die "sehr verlässlichen und vertrauenswürdigen" Sondierungsgespräche dankte. Da schwang sowohl Wehmut als auch ein Signal an die Grünen mit: Es hat zwar diesmal nicht geklappt, aber heute ist nicht aller Tage Abend.
Dass sich Wegner nicht auf eine schwarz-grüne Premiere einließ, hatte vor allem mit Zeitdruck zu tun. Ihm bleiben nur dreieinhalb Jahre, um sich als neuer Regierungschef zu profilieren. Weil es eine Wiederholungswahl war, läuft die 2021 begonnene Wahlperiode nämlich weiter. Da bliebe wenig Raum fürs Eingewöhnen in neue Beziehungen. SPD und CDU hingegen haben zwischen 2011 und 2016 schon einmal miteinander regiert. Außerdem ist die SPD seit mehr als 30 Jahren in Berlin in Regierungsverantwortung. Diese Erfahrung will sich Wegner angesichts der Zeitnot zunutze machen.
SPD-Chefin Giffey erwartet Regierungsbündnis auf Augenhöhe
Allerdings trifft der CDU-Chef auf eine innerlich zerrissene SPD, die aus der Abgeordnetenhauswahl maximal gedemütigt hervorging und deshalb ein Selbstbewusstseinsproblem hat. Das zeigte sich in den vergangenen Wochen am Streit darüber, ob die SPD überhaupt in Koalitionsverhandlungen mit der CDU eintreten sollte. Im Landesvorstand konnte sich Franziska Giffey dafür zwar eine Zweidrittelmehrheit sichern, es grummelt aber weiter erheblich in der Partei.
Gleichzeitig sind von Giffey und ihrem Co-Landesvorsitzenden, Fraktionschef Raed Saleh, aufmuskelnde Töne gegenüber der CDU zu vernehmen. Allzu viel Demut angesichts der Wahlniederlage ist nicht zu erkennen. Sie erwarte eine gleichberechtigte Partnerschaft auf Augenhöhe, erklärte Giffey in einem Interview mit dem "Tagesspiegel".
Das hatte Wegner bei den Sondierungen sowohl der SPD als auch den Grünen versprochen, Giffey formulierte es nun jedoch als Erwartungshaltung. Nach ihren Worten wäre das Eintreten in eine Koalition mit der CDU für sie und die SPD ein zurücknehmen, "um Stärke zu gewinnen". Das darf man auch als Ansage an die CDU verstehen.
Wegner will in ein Rathaus einziehen, das seit 20 Jahren fest in SPD-Hand ist
Wegner weiß um die seelische Zerrissenheit seiner Koalitionspartnerin in spe und versucht durchaus mit Geschick, Befindlichkeiten auf SPD-Seite auszutarieren. Auch deshalb kam das Versprechen eines Bündnisses "auf Augenhöhe", bei dem man sich auch gegenseitig Erfolge gönnen solle. Er will der SPD wie auch seiner CDU jeweils fünf Senatsposten geben. Für die Union käme nur noch der Regierende Bürgermeister on top.
Inhaltlich gibt es ebenfalls Signale, die zeigen, dass Wegner bereit ist, der Koalitionspartnerin entgegenzukommen, etwa beim Mieterschutz oder der Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Trotzdem bleibt es für ihn ein Spiel mit dem Feuer. Denn Kai Wegner zieht ohne jegliche Verwaltungs- und Regierungserfahrung in ein Rathaus ein, das seit 2001 fest in SPD-Hand ist. Die SPD dürfte ihm Anfängerfehler kaum durchgehen lassen, will sie doch bis 2026 wieder "Stärke gewinnen". Giffey macht keinen Hehl daraus, dann auch wieder Regierungschefin werden zu wollen. Die Gefahr für die CDU, von der SPD über den Tisch gezogen zu werden, ist durchaus real.
Gefährlich ist es andererseits aber auch für Franziska Giffey und die SPD. Denn wäre Wegner mit seiner Umarmungstaktik erfolgreich, könnte dies eine pragmatisch regierende Koalition zur Folge haben. Der Stadt mit all ihren Probleme würde das zwar guttun, am Ende aber zahlte dies vor allem aufs CDU-Konto ein und die SPD könnte bei der nächsten Wahl noch schlechter dastehen. Vor allem linke Genossen in der SPD fürchten das. Nach allen Erfahrungen, die CDU und SPD in vergangenen Jahrzehnten miteinander in Bund und Ländern sammeln konnten, wohl kein ganz abwegiger Gedanke.
Sendung: rbb24 Inforadio, 09.03.2023, 8:05 Uhr