Rücktritt als Bundesfamilienministerin - Was Giffeys Rückzug für Berlin bedeutet
Ihr Amt als Bundesministerin hat sie aufgegeben, SPD-Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl will Franziska Giffey aber bleiben. Ihre Partei baut darauf, dass die Plagiatsaffäre im Wahlkampf zum Nischenthema wird. Eine Analyse von Thorsten Gabriel
Raed Saleh nennt es "Wort halten". Er sagt, seine Co-Parteichefin Franziska Giffey habe mit ihrem Rücktritt "Maßstäbe gesetzt". Immer wieder ist aus der SPD zu hören, Giffeys Handeln sei "geradlinig".
Das erstaunt. Denn noch vor einer Woche hatte die jetzt Zurückgetretene dem "Tagesspiegel" [tagesspiegel.de] gesagt, das Thema Doktorarbeit sei für sie durch: "Für mich kann man mal sagen, der Drops ist gelutscht." Und sie betonte bei der Gelegenheit, dass sie ihren Rücktritt seinerzeit für das vorangegangene Prüfverfahren der Freien Universität in Aussicht gestellt hatte - nicht aber für das jetzt noch laufende: "Das Verfahren, in dem ich das gesagt habe, ist abgeschlossen. Das ist beendet."
Und nun, acht Tage später, also doch der Rückzug vom Ministerinnenamt. Konsequenz und Geradlinigkeit lässt sich da nur schwer hineindeuten. Geradlinig zeigt sich Giffey allenfalls als Spitzenkandidatin. Ihren Genossinnen und Genossen hatte sie sich bei ihrer Nominierung nicht etwa als reuige Täterin präsentiert, weil die Universität ihr schon im ersten Verfahren vorsätzliche Täuschung bescheinigt hatte. Stattdessen stellte sie die Relevanz einer solchen wissenschaftlichen Arbeit infrage und versicherte, sie werde, komme, was wolle, ihre Partei "nicht im Stich lassen".
Ohne Doktorarbeit wäre Giffey eine Traumkandidatin
An dieser Linie hält sie nun in der Tat geradlinig fest, genauso wie ihre Partei. Das folgt der schlichten Logik, dass die Berliner Sozialdemokratie keine Alternative zu Giffey sieht. Niemand aus den eigenen Reihen war in Umfragen zuletzt beliebter als die Ex-Ministerin. Kein Berliner Sozialdemokrat war präsenter in den bundesweiten Nachrichten als sie. Denn im Bund besetzte sie als Familienministerin ein Ressort mit vielen Anknüpfungspunkten an die Lebensverhältnisse in der Hauptstadt.
Gäbe es nicht die Doktorarbeit, wäre Franziska Giffey eine makellose Traumkandidatin, wie sich die SPD keine bessere wünschen könnte. Und so knüpft die SPD nun ihre Hoffnung ganz daran, dass das unrühmliche Kapitel einfach in Vergessenheit gerät. "Wir freuen uns auf den Wahlkampf, der sich hoffentlich nicht auf FU und Doktorarbeit bezieht, sondern auf die Frage: Wie wollen wir in Berlin leben, wer kann sich diese Stadt leisten und wie kommt man gut von A nach B", formuliert es der SPD-Abgeordnete Sven Kohlmeier.
Oppositionsparteien reagieren unterschiedlich
Im Augenblick ist noch schwer abschätzbar, welche Bedeutung die Wählerinnen und Wähler der Plagiats-Affäre beimessen. Das werden erst die nächsten Umfragen ans Licht bringen. Die vergangenen Befragungen allerdings haben gezeigt, dass diese Abgeordnetenhauswahl deutlich von der Bundestagswahl überschattet werden wird. Die Diskussionen über das CDU-Spitzenpersonal Laschet und Söder schlug da ebenso durch wie die Nominierung der grünen Kanzlerkandidatin Baerbock. Der Wahlausgang im landespolitischen Berlin bleibt da nicht nur für Giffey, sondern auch für alle anderen ein bisschen mehr eine Wundertüte als ohnehin.
Das erklärt auch, weshalb die Reaktionen so unterschiedlich ausfallen. Zwar begrüßen die Oppositionsparteien CDU und AfD beide den Rückzug Giffeys und nennen ihn "unumgänglich". Während die AfD allerdings fordert, Giffey müsse nun auch von ihrem Posten als Spitzenkandidatin zurücktreten, ist die CDU da zurückhaltend. Das sei Sache der SPD, sagt CDU-Generalsekretär Stefan Evers und lässt sich auf keine Belehrungen in Richtung der Sozialdemokraten ein.
"Der Makel wird bleiben"
Man sehe nicht, dass ein Draufhauen auf die SPD der CDU im Wahlkampf weiterhelfe, heißt es hinter vorgehaltener Hand bei den Christdemokraten. Deshalb also die Höflichkeit. Gleichzeitig aber dürfte auch eine Rolle spielen, dass Giffey nicht nur für die SPD eine Hoffnungsträgerin ist, sondern auch für die CDU. Anders als andere Sozialdemokratinnen hat Giffey die Tür zu einer möglichen Koalition mit der CDU bislang nicht öffentlich zugeschlagen. Außerdem liegt sie mit ihren politischen Äußerungen zur inneren Sicherheit oder bei der Mietenpolitik erstaunlich dicht am CDU-Spitzenkandidaten Kai Wegner. Es ist naheliegend, dass sich eine CDU, die ansonsten wenig Aussicht darauf hat, an einer künftigen Regierung beteiligt zu sein, es sich nicht mit einem möglichen Koalitionspartner verscherzen will.
Sogar von Linken und Grünen kommen da unfreundlichere Töne. "Frau Giffey hat bei einer wissenschaftlichen Arbeit vorsätzlich getäuscht und ist zurückgetreten. Ob das jetzt qualifiziert für das Amt des Regierenden Bürgermeisters, das muss zu allererst die SPD entscheiden, und dann entscheiden es die Wählerinnen und Wähler", sagt Linken-Spitzenkandidat Klaus Lederer und fügt hinzu: "Der Makel wird bleiben und die Arbeit macht es gewiss nicht leichter." Für die Grünen spricht deren Landesvorsitzende Nina Stahr von einem "überfälligen Schritt" Giffeys und von politischem Vertrauen, dass durch die Affäre um die Doktorarbeit gefährdet worden sei.
So klingen Koalitionspartner, die genervt von der SPD als Drittem im Bunde, sind - und die deshalb auch keinen Grund sehen, zurückhaltend zu sein. Denn auch die SPD hat sich in der Vergangenheit nie zimperlich gezeigt, wenn es um Kritik an Linken und Grünen ging. Der Umgangston in dieser Koalition ist eben seit je her von rauer Herzlichkeit geprägt.
Sendung: Abendschau, 19.05.2021, 19:30 Uhr
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