Wahlkampf mit Bettina Jarasch - Grüne Mission Rotes Rathaus
Diesmal setzt Bettina Jarasch auf den Sieg im linken Lager. Die Grünen-Spitzenkandidatin will die Koalition fortsetzen, aber als Chefin. Auch deshalb wird der Ton rauer zwischen ihr und SPD-Spitzenfrau Giffey. Von Boris Hermel
Dieser Text ist Teil einer Reihe von Reportagen, welche die Spitzenkandidat:innen der sechs im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien im Wahlkampf begleiten.
Bettina Jarasch trägt ein Papp-Tablett mit geschmierten Brötchen über den kalten Helene-Weigel-Platz in Marzahn. Im hochgeschlossenen schwarzen Mantel und mit grünem Schal sticht sie hervor aus den rund 80 Menschen, die an diesem Samstag frierend in einer Schlange stehen. "Die Brötchen sind total lecker und gesund", sagt sie zu einem Mann mit abgewetzter Pudelmütze, "wenn Sie die gegessen haben, sind Sie schon vorne bei der Suppe. Das ist doch gut, oder?"
Der Mann nimmt die Brötchen und bedankt sich artig. Wie alle anderen in der Schlange steht er an für die kostenlose heiße Suppe, die das Rote Kreuz hier verteilt. Und für die vollgepackte Papiertüte mit Essenspenden.
Auf dem zugigen Platz in Marzahn werden die Auswirkungen der Inflation in aller Schärfe sichtbar, gerade jetzt am Monatsende, wo das Bürgergeld nicht mehr reicht. Die Armut hat hier viele Gesichter. "Die soziale Spaltung muss uns umtreiben", sagt die grüne Spitzenkandidatin. Sie kommt mit der 26-jährigen Simone Guderion ins Gespräch, die mit klammen Fingern und Bollerwagen auf die Suppe wartet.
Die junge Frau freut sich zwar, dass die grüne Spitzenpolitikerin ihr erst einen Apfel und am Ende sogar ihre Handschuhe schenkt. Mit der Politik kann sie trotzdem nicht viel anfangen. Sie findet es bitter, dass so viele Menschen auf die Spenden vom Roten Kreuz angewiesen sind, "und dass die Regierungen so großartig nichts machen. Deswegen bin ich am Überlegen: Gehe ich dieses Mal überhaupt wählen - und warum?"
Klare Koalitonsaussage: Grün-Rot-Rot
Neben dem grünen Wahlkampfstand stehen Schirme von SPD und Linken, auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) hilft beim Verteilen. "Wir drei Parteien sind hier", sagt Jarasch, "und zwar nicht nur im Wahlkampf, sondern schon seit ein, zwei Jahren, weil es hier einfach Armut gibt. Ich finde es bezeichnend, dass FDP und CDU nicht hier sind."
Damit hat die 54-jährige gebürtige Augsburgerin den Ton gesetzt, der in diesem Wahlkampf immer wieder von ihr kommt: Sie will auch nach der Wiederholungswahl mit SPD und Linken weiter regieren, aber eben unter ihrer Führung als Regierende Bürgermeisterin. Und: "Ich würde mich sehr freuen, wenn die SPD und Franziska Giffey dabei sind."
Ton ist rauer geworden
Weil SPD und Grünen in den Umfragen in den vergangenen Wochen nur sehr knapp auseinander lagen, ist der Ton rauer geworden zwischen den Koalitionspartnerinnen. Für die Entwidmung der Friedrichstraße für den Autoverkehr ging Giffey Jarasch frontal an, bei einer Spitzenkandidatenrunde in der Industrie- und Handelskammer bekamen sie sich wegen eines Senatsbeschlusses zur Verwaltungsreform vor laufenden Kameras in die Wolle.
Wie schwer wiegen diese Verletzungen mit Blick auf eine mögliche Fortsetzung der Koalition nach der Wahl? "Man muß nachsichtig miteinander sein, wenn man Wahlkampf gegeneinander macht und danach trotzdem vielleicht wieder weiter regieren will", sagt Bettina Jarasch. Sie könne das.
Am gleichen Tag, ein paar Stunden früher. Die Spitzenkandidatin freut sich auf eine Art Heimspiel. Auf dem Winterfeldtplatz im grün regierten Schöneberg stärkt ihr sogar die Bundesvorsitzende Ricarda Lang den Rücken: "Ich habe jetzt richtig Bock auf Wahlkampf mit dir hier in Berlin, Bettina", ruft Lang in die versammelte grüne Basis hinein und erntet ordentlich Applaus.
Beim Flyer-Verteilen auf dem Winterfeldt-Markt schlägt Jarasch viel Sympathie entgegen. "Ich habe schon gewählt, alle Stimmen grün", bekennt eine Mittfünfzigerin stolz und zaubert der Spitzenkandidatin ihr typisches lautes Lachen ins Gesicht. Zwei Rentnerinnen sind begeistert, dass sie Bettina Jarasch jetzt endlich mal "in echt" sehen und sprechen können, nicht nur im Fernsehen.
Gegenwind von früheren Sympathisanten
Dann aber bekommt das vermeintliche Heimspiel in Schöneberg doch noch Dellen. Tina M., eine Alt-Achtungsechzigerin in neongelber Fahrradweste, früher sicher Grünen-Sympathisantin, baut sich vor Bettina Jarasch auf: "Warum machen Sie so einen auf Kriegsbegeisterung? Frau Baerbock, Herr Nouripour, Herr Hofreiter, was finden Sie so toll am Krieg", fragt die Frau provozierend. "Gar nichts", sagt Jarasch, "Krieg ist schrecklich.". Aber warum, insistiert Tina M. weiter, "rufen so viele Grüne immer nach noch mehr Waffen?" Dass Gespräch geht schnell zu Ende, die Spitzenkandidatin bleibt eine Antwort schuldig.
Neben dem grünen Wahlkampfstand haben Helfer ein Schild postiert. "Mit Grün voran statt mit Schwarz-Rot zurück", steht drauf – und genauso fällt auch Bettina Jaraschs Rede vor der Parteibasis aus: Sie arbeitet sich ein bisschen auch am Koalitionspartner ab, an der SPD. Die wisse offenbar aktuell gar nicht mehr, ob sie "vorwärts, rückwärts oder seitwärts will. Deswegen beschließt sie jetzt, einfach stehen zu bleiben, am besten gar keine Veränderungen."
CDU als Hauptgegner
Als Hauptgegnerin geht Jarasch aber die CDU an. Trotz, oder vielleicht auch wegen der Avancen, die abseits der Kameras vom Spitzenkandidaten Kai Wegner gekommen sind. Bettina Jarasch belässt es nicht bei ihrer seit Wochen wiederholten lauten Kritik an der stigmatisierenden Vornamen-Debatte der Union nach den Silvesterangriffen, die rassistische Ressentiments geschürt habe. Die grüne Spitzenkandidatin macht auch deutlich, wie tief die Gräben zu den Christdemokraten beim urgrünen Thema Verkehr und Klima sind: "Die CDU redet zwar von Klimaschutz, meint damit aber Autobahn, bei ihr endet der Klimaschutz schon, wenn nur ein einziger Parkplatz umgebaut werden soll."
Auch hier lässt sich am frenetischen Beifall der grünen Parteianhänger ermessen, dass der Weg zu einer möglichen Zusammenarbeit mit den Christdemokraten deutlich weiter geworden ist in diesem Wahlkampf. Rechnerisch vermutlich möglich, kulturell sehr schwierig. Und trotzdem nicht völlig ausgeschlossen.
Dennoch erklärt Bettina Jarasch Grün-Rot-Rot zu ihrer klaren Präferenz. Dass die CDU in den Umfragen vorne liegt, stört sie dabei wenig. Das Kalkül: Solange die Grünen am Wahlabend vor der SPD liegen, könnte ihre Spitzenkandidatin auch als Zweitplazierte als Senatschefin ins Rote Rathaus einziehen.