Wahlkampf mit Franziska Giffey - Mit Amt, aber ohne Bonus?
In den Umfragen steht die Berliner SPD knapp zwei Wochen vor der Wahl-Wiederholung auf dem dritten Platz. CDU und Grüne reklamieren das Rote Rathaus offensiv für sich. Doch Franziska Giffey kämpft auf ihre Art gegen den drohenden Machtverlust. Von Jan Menzel
Dieser Text ist Teil einer Reihe von Reportagen, welche die Spitzenkandidat:innen der sechs im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien im Wahlkampf begleiten.
Leuchtend roter Mantel, weißer Schal und ein strahlendes Lächeln. Wie ein Leuchtturm steht Franziska Giffey auf der Wilmersdorfer Straße und ist im Pulk um den Wahlkampfstand nicht zu übersehen. Die SPD-Spitzenkandidatin drückt Hände, lässt Junge und Ältere Selfies schießen und verteilt Tütchen mit Give-Aways. Eine Bürgermeisterin zum Anfassen, eine Politikerin die zuhört, auch wenn's weh tut.
"Wissen Sie, was ich wählen werde?", fragt ein Rentner mit brauner Lederjacke, die graue Wollmütze tief in die Stirn gezogen, und gibt die Antwort gleich mit: "Die CDU!" Giffey reagiert nicht verdutzt, sie nickt und revanchiert sich mit einer Gegenfrage: "Wissen Sie, wer dann wahrscheinlich ins Rathaus kommt?" Dem Mann bleibt noch kurz Zeit "Wegner" einzuwerfen, den Nachnamen des CDU-Spitzenkandidaten, bevor die Regierende Bürgermeisterin wieder übernimmt: "Nee, Frau Jarasch. Wenn Sie CDU wählen, wird die SPD geschwächt."
SPD mit Druck von zwei Seiten
Tatsächlich wird ihre Partei in diesem Wahlkampf besonders intensiv von zwei Seiten in die Zange genommen. Da ist zum einen die CDU, die in den Umfragen zu enteilen scheint. Zum anderen kommen die besonders harten Attacken von den Grünen mit ihrer Spitzenkandidatin Bettina Jarasch, die mit der SPD in einer Koalition regieren. Beide Parteien wollen das Rote Rathaus erobern und Giffey muss sich fragen, in welcher politischen Konstellation sie ihr Amt eigentlich noch verteidigen kann.
Doch auch als ein Mitglied einer Kleinstpartei sie mit laufender Kamera überfällt und im Spontan-Interview aufs Glatteis führen will, bleibt die Regierende Bürgermeisterin bei ihrer Linie: "Also wissen Sie, ich bin hier, weil ich für eine starke SPD eintrete und ich mache niemals Koalitionswahlkampf, egal mit wem, sondern wir setzen uns für die SPD ein." Dabei lächelt sie so offen, als ob der Wahlkampf an diesem kalten Morgen mitten in einer zugigen Einkaufsstraße das Schönste auf der Welt wäre.
Und vielleicht ist es das ja auch. Die SPD-Spitzenkandidatin ist umringt von ihren Parteifreunden aus der City West, die die ganze Aktion in ein Heimspiel verwandeln. Sogar ihr Amtsvorgänger, der Bundestagsabgeordnete Michael Müller, schaut vorbei. Beide wechseln ein paar Worte, aber viel Zeit für ein Gespräch bleibt nicht, denn immer wieder bleiben Menschen stehen oder steuern direkt auf Franziska Giffey zu.
Fokus auf Erreichtes
Eine Frau erzählt von ihrer Tochter, die in Potsdam studiert, auf Bafög angewiesen ist und darunter leidet, dass alles immer teurer wird. "Haben sie mitbekommen, dass das Semesterticket für die Studierenden gesichert ist und dass auch die Studierenden ein Entlastungsgeld für Energie bekommen haben? Außerdem ist das Studieren gebührenfrei", entgegnet Giffey.
Andere Gespräche drehen sich um Kitaplätze, von denen im vergangenen Jahr 5.000 neu geschaffen wurden, wie die Regierende Bürgermeisterin betont. Dass günstige Wohnungen fehlen, nimmt Giffey als Ansporn, dass mehr beim Neubau passieren muss. Und wenn eine Frau ihr vorhält, dass die Unterstützung für neue Unternehmen nicht rund laufe, hält Giffey dagegen: Berlin stehe nach der Corona-Krise wirtschaftlich viel besser da als andere Bundesländer.
Es ist nicht so, dass Giffey am Wahlkampfstand in der Wilmersdorfer Straße mit harter Kritik konfrontiert wird. Die SPD-Spitzenkandidatin bekommt sogar recht viel Zuspruch. Eine Frau, die von sich sagt, sie komme aus der Wirtschaft, bescheinigt ihr: "Sie sind eine Hands-On-Frau und das ist, was gut ist." Und doch redet sich Giffey fast ein wenig in Rage, als sie das Gefühl bekommt, dass nicht gesehen wird, was der Senat unter ihrer Führung gemacht hat.
"Keiner hat hier Stromausfall und Blackout und alles gehabt. Die Energieversorgung ist sichergestellt. Und wir haben die Leute entlastet. Das sind doch alles Sachen, die sind nicht vom Himmel gefallen", sagt sie vehement und dabei wird klar, dass sie neben ihrem demonstrativen Optimismus auch auf den Amtsbonus einer Regierungschefin setzt, die die Stadt durch ein Krisenjahr gesteuert hat.
Amtsgeschäfte und Wahlkampf
Wie gut sich die Amtsgeschäfte und der Wahlkampf verbinden lassen, lässt sich auch an einem Nachmittag im Rathaus von Spandau beobachten. Dort hat sich die Regierende Bürgermeisterin gemeinsam mit ihrem Bausenator Andreas Geisel zu einer Stippvisite angekündigt. Es geht um das neue Wohngeld Plus, mit dem Haushalte mit niedrigen Einkommen finanziell besonders unterstützt werden.
Die Erfassung und Bewilligung der Anträge stellt die Bezirke allerdings vor eine ziemliche Herausforderung, da sich die Zahl der Berechtigten in Berlin auf rund 75.000 Menschen verdreifachen dürfte. "Hallo, guten Tag allerseits", sagt die Regierende Bürgermeisterin als sie die Amtsstube betritt und den Mitarbeiterinnen im Wohngeldamt eröffnet: "Wir wollten uns einfach mal selber vor Ort ansehen, wie das funktioniert."
Zwei junge Regierungsinspektorinnen am Rechner demonstrieren Giffey daraufhin das Online-Verfahren für das neue Wohngeld Plus. "Sie drucken den Online-Antrag trotzdem noch aus?", fragt sie. Noch ja, antworten die beiden, erst wenn die E-Akte eingeführt sei, könne man auf den Ausdruck verzichten. Die Bearbeitungszeiten haben sich trotz dieser halben Digitalisierung aber schon so verkürzt, dass eine Drittel der seit Jahresanfang eingereichten Anträge abgearbeitet werden konnte.
"Berlin ist vorne"
Kein anderes Bundesland habe diesen Status bislang erreicht, lässt sich Giffey vom ebenfalls anwesenden Stadtrat Gregor Kempert, einem Sozialdemokraten, versichern. "Berlin ist vorne, meine Damen und Herren! Ich will's nur mal sagen", frohlockt Giffey.
Ob die Botschaft bei der Wahl am 12. Februar verfängt, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Der Rentner auf der Wilmersdorfer Straße, der so offen angekündigt hat, dieses Mal sein Kreuz nicht mehr bei der SPD zu machen, verabschiedet sich nach einem langen Gespräch. "Denken sie noch mal drüber nach!", ruft die Regierende Bürgermeisterin ihm hinterher.