Wahlkampf mit Kristin Brinker - "Ich denke, ich bin ein Menschenfreund"
AfD-Spitzenkandidatin Kristin Brinker verteilt im Straßenwahlkampf Rosen und Handwärmer. Ob sie die Menschen damit auch für ihr Wahlprogramm erwärmen kann? Von Franziska Hoppen
Dieser Text ist Teil einer Reihe von Reportagen, welche die Spitzenkandidat:innen der sechs im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien im Wahlkampf begleiten.
"Ich bin verkabelt." Mehr als einmal muss AfD-Spitzenkandidatin Kristin Brinker ihre Parteikollegen beim Wahlkampftermin an das rbb-Mikrofon an ihrem Schal erinnern: "Ich möchte hier keine Partei-Interna klären." Ein Kollege witzelt: "Ich dachte die Stasi gibt's nicht mehr", sagt dann aber nichts mehr.
Um 10 Uhr früh ist nicht viel los vor dem Supermarkt in Berlin-Buch. Nur ein paar Pankower Rentner sind in der Walter-Friedrich-Straße unterwegs. Die AfD hat trotzdem ihren Stand aufgebaut. Heißer Kaffee, blaue Plastikbecher, blaue Handwärmer und Eiskratzer. Es ist frostig an diesem Morgen. "Die Eiskratzer hier machen deutlich, dass der Klimawandel nicht stattfindet", sagt Michael Adam, Jurist und Direktkandidat für Pankows Wahlkreis 5. Brinker lacht den Einwurf weg. Sie will das seriöse Gesicht der AfD sein.
Bürgernah, aber unbekannt
Zunächst zieht die 51-Jährige zaghaft los, wirkt fast ein bisschen verloren. Straßenwahlkampf ist nicht ihre große Stärke, das weiß sie selbst: "Ich bin noch immer nicht diejenige, die auf alle zu rennt", sagt sie. "Aber ich denke, ich bin ein Menschenfreund." Sie verteilt erstmal blau gefärbte Rosen, ohne große Worte.
Brinker läuft sich warm. Viele der Einkaufenden scheinen nicht zu wissen, wer diese Frau in Winterjacke ist. Das zeigte jüngst auch der DeutschlandTrend: Da gaben immer noch nur 28 Prozent der Befragten an, dass sie etwas mit ihrem Namen anfangen können. Bei den anderen Spitzenkandidaten war es deutlich mehr.
Gespräche führen die Passanten, die Rentner, trotzdem dankbar. Und Brinkers zugewandte Art kommt an. Sie ist inzwischen aufgetaut, nickt betroffen, als eine Seniorin vom Schlaganfall ihres Mannes berichtet, sagt später, es brauche weniger Bürokratie in der Pflege. Sie schüttelt bestürzt den Kopf, als eine Anwohnerin vom Einbruch bei den Nachbarn erzählt. "Die Polizeisirene ist unsere Nationalhymne, das ist so schlimm hier", sagt die Frau. "Das ist ja schrecklich", antwortet Brinker. Im Januar sei die Anwohnerin der AfD beigetreten, wegen der Sicherheit. Nun strahlt sie "ihre" Spitzenkandidatin an. "Die AfD ist so bürgernah", schwärmt sie. Das habe sie bei keiner anderen Partei erlebt. Dass die AfD in Teilen als rechtsextrem gilt, will sie nicht hören. "Das hat nix mit Nazis zu tun, es geht einfach um die Sicherheit im Land", sagt sie.
Geübt dekliniert Brinker ihre innenpolitischen Forderungen durch: bessere Ausstattung für die Polizei, schnellere Verfahren, mehr Personal für die Justiz. Damit klingt sie allerdings nicht anders als die CDU. Nach den Vorfällen in der Silvesternacht bekam die größte Oppositionspartei um Spitzenkandidat Kai Wegner viel Zuspruch. Laut DeutschlandTrend liegt die CDU bei der Sonntagsfrage aktuell mit 25 Prozent vor allen anderen Parteien. Die AfD kommt auf zehn Prozent. Doch Brinker gibt sich selbstbewusst. "Die CDU hat in der Vergangenheit Verantwortung getragen, aber nicht genutzt. Schauen wir mal", sagt sie verschmitzt.
"Überraschungen gibt es immer"
Chancen auf eine Regierungsbeteiligung hat die AfD in Berlin trotzdem keine. Niemand will mit der Rechtsaußen-Partei koalieren. Für Brinker muss das doch frustrierend sein, oder? "Nein!", ruft sie. "Überhaupt nicht! 1989 hat auch keiner geglaubt, dass die Mauer fällt. Und plötzlich war sie weg. Man weiß ja nie, was passiert, Überraschungen gibt es immer." Und außerdem sei die AfD ja eine starke Oppositionspartei.
Die Einkaufenden in Buch scheint das wenig zu interessieren, die meisten reagieren zurückhaltend auf Brinker und ihre Unterstützer. Dafür gehen die Geschenke schnell weg. Zwei kleine Mädchen bekommen am Stand eine Trommel, in Deutschlandfarben. Ihr Vater sagt, für das Politische sei seine Frau verantwortlich. Er lacht nervös. Eine andere Familie mit Baby nimmt eine Rose entgegen. Das Parteiprogramm kennen sie nicht.
Buch ist der nördlichste Teil von Pankow. Wer hier raus will, sitzt lange in der S-Bahn. "Die Anbindung an den ÖPNV ist problematisch", sagt Brinker. "Tausende Berliner sind hier vom Zentrum abgehängt." Der AfD-Stand ist am Vormittag für viele hundert Meter der einzige. Nur am S-Bahn-Halt steht noch ein kleiner Tisch der Linken. Mit ihr lag die AfD 2021 in Buch praktisch gleichauf, mit rund 14 Prozent. Die meisten Stimmen aber gingen an die CDU, es ist ein konservativer Ortsteil. Einer, in dem sich viel verändert hat, sagt Brinker. Viel Neubau, viele Wohncontainer, in denen nun Geflüchtete leben. Hier den Stand aufzubauen, ist eine strategische Entscheidung.
Viele laufen wortlos vorbei
Zwei Stunden später bricht Brinker zum Kurt-Schumacher-Platz in Reinickendorf auf. Fast alle Fraktionen haben sich vor einem Einkaufszentrum positioniert. Die AfD mit prominenter Unterstützung: die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch ist mit Geschenktüten bewaffnet.
Auf den ersten Blick passt sie nicht zu Brinkers sanftem, bürgerlichem Auftritt. Von Storch provoziert immer wieder, sei es mit dem Vorschlag, an Grenzen auf Geflüchtete zu schießen, oder mit Attacken gegen trans Menschen, das Gendern und linke Politik. Doch Brinker sagt, sie freue sich über ihre Unterstützung: "Jeder, der mithilft, hilft. Ich habe meine Fans, sie hat ihre." Brinker lässt radikale Kräfte in ihrer Partei gewähren – und nutzt sie für sich. Zur AfD-Landesvorsitzenden hat sie sich auch mit Unterstützung des mittlerweile offiziell aufgelösten Flügels wählen lassen.
Die Menschen in Reinickendorf aber wollen an diesem Tag offenbar keine Partei-Inhalte diskutieren, viele machen große Bogen um die Stände. Genervt könnte man die Menschen am ehesten beschreiben. Rolf Wiedenhaupt, AfD-Direktkandidat für den Wahlkreis 2 in Reinickendorf, sagt, viele hier würden um ihre Existenzen bangen. Waren die Mieten früher noch günstig, wegen der Einflugschneise zum Flughafen Tegel, seien sie nun gestiegen. "Deshalb kämpfen wir hier, die Zustimmung ist riesig", sagt Wiedenhaupt. Die meisten Menschen laufen heute aber wortlos an ihm vorbei.
"Sie wirkt ganz nett", sagt immerhin eine Passantin und nickt Brinker zu. "Aber die AfD ist mir zu rechts." Versuche, sie umzustimmen, unternimmt Brinker keine. Stattdessen nimmt sie eine Handvoll Schokolade und klopft an die Scheibe des Polizeiautos, das mit Blick auf die Stände geparkt hat. Die Polizisten nehmen die Tafeln entgegen, kurbeln die Scheibe wieder hoch. Keine Gespräche übers Parteiprogramm. Aber vielleicht ein gutes Bild für die Abendschau-Kamera? "rbb-Sumpf trockenlegen" steht auf einem der AfD-Wahlplakate. Aber als das rbb-Team später zusammenpackt, wird auch der Stand schnell abgebaut.
"Ich möchte mal andere Politiker sehen, die lachen"
Entstehen Gespräche, dann mit Sympathisanten. Das Thema fast immer das gleiche: Sicherheit. "Das kann doch nicht sein, dass Feuerwehrleute und Rettungskräfte mit Steinen beworfen werden. Dass Straftäter frei rumlaufen", sagt ein älterer Herr. "Und wenn der Staat nicht für Ordnung sorgen kann, muss ein anderer Staat her. Ich möchte Sicherheit für meine Kinder und Enkelkinder." Wie er denn Frau Brinker findet, als Spitzenkandidatin der AfD? "Kann ich nicht sagen, meine Frau hört zu", sagt er und grinst. Alle lachen, Brinker auch. Das kommt an. "Ich möchte mal andere Politiker sehen, die lachen", sagt der Herr. Und schäkert noch ein bisschen weiter.
Nur einmal an diesem Vormittag gibt es offene Kritik für die AfD. Eine Einkaufende schimpft, dass Steuergelder für Polizeischutz verbraten werden, mit Blick auf die Beamten im Auto. Die AfD sei doch eine faschistische Partei, frauenfeindlich, ausländerfeindlich. Mit dieser deutlich geäußerten Meinung ist sie jedoch allein an diesem Tag. Die meisten Menschen ziehen wortlos an der lächelnden Spitzenkandidatin Brinker vorbei.
Sendung: rbb24 Abendschau, 03.02.2023, 19:30 Uhr
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