Abgeordnetenhauswahl im September - Berliner SPD zieht ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf
Die Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey will sich auf kein Bündnis nach der Abgeordnetenhauswahl festlegen. Das Ziel: Die SPD soll wieder die Nummer 1 werden. Die Umfragen sprechen dagegen - für Giffey ist es aber die einzige Option. Von Jan Menzel
Die beiden Berliner SPD-Landesvorsitzenden, Franziska Giffey und Raed Saleh, haben schon eine ganze Weile über Sauberkeit und Ordnung referiert. Über eine Haushaltspolitik, die der Krise nicht hinterhersparen darf. Und über die Wirtschaft, die nach Corona wieder wachsen muss - als Raed Saleh eines klarstellen möchte: "Wir haben den Anspruch, bei der Wahl stärkste Kraft zu werden", sagt der Co-Landesvorsitzende mit einem Selbstbewusstsein, als gäbe es keine Umfragen.
Die Meinungsforscher sehen die Hauptstadtgenossen seit Monaten, nein Jahren, abgeschlagen auf den hinteren Rängen. Im BerlinTrend von rbb-Abendschau und "Berliner Morgenpost" waren es gerade einmal 15 Prozent der Befragten, die ihr Kreuz bei der SPD machen würden. Das reicht nur für Platz 3 hinter Grünen und CDU - und ist eine düstere Aussicht für eine Partei, die in den vergangenen Jahren ein Abo aufs Regieren hatte.
Die Stimmung ist der Hauptgegner
Natürlich weiß die neue Führungsspitze Giffey/Saleh um den Ballast, den sie mit sich trägt. An vielen Ecken und Enden der Stadt regiert das Grundgefühl, dass zu viel nicht gut funktioniert. Erbittert wie sonst nirgends in der Republik wird über schmutzige Schultoiletten, Schulen ohne WLAN und Lehrermangel gestritten. Und unbestreitbar ist, dass die SPD seit einem Vierteljahrhundert die Bildungssenatoren und – senatorinnen stellt.
Vielleicht ist diese Wahrnehmung, diese Stimmung sogar der Hauptgegner für die SPD und ihre Spitzenkandidatin Franziska Giffey in diesem Wahlkampf-Jahr, mehr noch als die politischen Mitbewerber. Ein gewisser Überdruss schlägt Giffey auch entgegen, als sie das 100-Seiten starke Wahlprogramm vorstellt. Nichts Neues stehe darin, sagt ein Journalist. "Wir sind aber neu", hält die Bundesfamilienministerin Giffey dagegen.
Geräuschfrei die Akzente verschieben
Dieser Spagat dürfte für die Wahlkämpferin Giffey die eigentliche Herausforderung werden. Einerseits muss sie für eine andere, eine neue und eine bessere Politik stehen. Anderseits kann sie nicht so tun, als hätte sie mit der SPD-Senatspolitik nichts zu tun. "Wo kommen wir her und wohin soll es weiter gehen", umschreibt die Spitzenkandidatin ihre Mission. Probleme wolle sie nicht beschönigen, aber was sei denn mit dem kostenlosen Schul-Mittagsessen, dem Schülerticket und der Ganztagsbetreuung in Kita und Hort? Berlin sei da viel weiter als andere Bundesländer, dreht die Bundesfamilienministerin den Spieß um.
Sie und ihr Co-Landesvorsitzender Saleh haben die vergangenen Monate genutzt, um weitgehend geräuschfrei die Akzente in der Berliner SPD verschieben. Als sozialdemokratische Klassiker finden sich Wohnungsneubau und das Versprechen von guter und gerechter Bildung im Wahlprogramm wieder. Ganz oben rangiert aber nun die innere Sicherheit. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit stellt Giffey sich demonstrativ hinter die Arbeit von Polizei und Ordnungsämtern.
Von einer "Politik der Mitte" spricht die Spitzenkandidatin und von einem "Kurswechsel hin zu einer bürgernahen und pragmatischen Politik". Solche Sätze dürfen die Koalitionspartner Grüne und Linke getrost als Kampfansage begreifen, zumal die SPD in diesen Wahlkampf ohne ein Bekenntnis zu Rot-Rot-Grün ziehen will. Es wird keine Koalitionsaussage vor dem Wahltermin geben, stellt Franziska Giffey unmissverständlich klar. Vielmehr wolle die SPD nach der Wahl mit der Partei zusammenarbeiten, mit der sie die meisten ihrer Ziele erreichen könne.
Flexibel wie die Vorgänger
Aus Sicht der Parteispitze ist das nur folgerichtig: Beim Klimaschutz wird die SPD die Grünen nicht übertrumpfen könne. Genauso aussichtslos wäre es, die Linken in der Debatte um die Enteignung großer Immobilienkonzerne links zu überholen.
Bleiben also die politische Mitte und das Kalkül, als SPD dank des Giffey-Bonus möglichst stark zu werden, um am Ende einen Koalitionspartner aussuchen zu können. Was in der Vergangenheit übrigens ganz gut funktioniert hat. Auch Klaus Wowereit und Michael Müller, die Franziska Giffey beerben möchte, haben sich ungern festgelegt und waren bei der Wahl ihrer Koalitionspartner sehr flexibel.