Bericht der Landeswahlleiterin - Diese Zahlen zeigen das ganze Berliner Wahl-Chaos
5.000 Stimmzettel nicht ausgegeben, 1.600 ungültige Stimmen, 73 Wahllokale vorübergehend geschlossen, 3 Abbrüche: Die Liste der Wahl-Pannen in Berlin ist lang. Ein Überblick über "erschreckende" Zahlen. Von Dominik Ritter-Wurnig
Fast jedes zehnte Wahllokal in Berlin machte am Superwahltag Probleme. Das berichtete die scheidende Landeswahlleiterin Petra Michaelis am Donnerstag dem zuständigen Wahlausschuss - und sprach selbst von erschreckenden und ärgerlichen Zahlen. Konkret: In 207 von 2.254 Wahlbezirken ist es bei der Abgeordnetenhauswahl am 26. September zu "Unregelmäßigkeiten" gekommen, wie es in dem detaliierten Bericht der Landeswahlleitung heißt, der auch im Internet nachzulesen ist [berlin.de/PDF].
Mehrere Tausend Mal Stimmzettel nicht ausgegeben
Dieser zeigt auch: Mehr als 5.000 Mal wurden Wählerinnen und Wählern bei der Abgeordnetenhauswahl Stimmzettel nicht ausgehändigt - obwohl genug Stimmzettel vorhanden waren. Die Landeswahlleiterin Michaelis geht von einem "Versehen" oder "Überforderung" aus - ein absichtliches Nicht-Aushändigen sei nirgends gemeldet worden.
"Die unvollständige Ausgabe wurde oftmals dadurch entdeckt, dass sich eine Wählerin bzw. ein Wähler über den fehlenden Stimmzettel beschwerte", schreibt Michaelis in ihrem Bericht. Insgesamt waren den Wahlberechtigten - mit Ausnahme der 16-18-Jährigen sowie EU-Bürger:innen - sechs Stimmzetteln für die vier Wahlen zu geben.
Die dadurch fehlenden Stimmen können in Folge auch nicht gezählt werden. In zwei Wahlkreisen übersteigt die Zahl der nicht ausgehändigten Erststimmzettel den Stimmenvorsprung zum Zweitplatzierten: Im Wahlkreis 6 in Charlottenburg-Wilmersdorf und im Wahlkreis 1 in Marzahn-Hellersdorf. Eben dort hat die Landeswahlleitung am Donnerstag Einspruch angekündigt. Diese Wahlpanne war vermutlich mandatsrelevant.
Eine Stimme könnte in Lichtenberg entscheiden
Knapp könnte es auch noch im Wahlkreis 3 in Lichtenberg werden: Dort wurden 301 Wähler und Wählerinnen an ihrem Wahlrecht für ihren Direktkandidaten gehindert, weil ihnen kein Stimmzettel ausgegeben wurde. Claudia Engelmann (Linke) liegt dort gerade mal 302 Erststimmen vor dem SPD-Kandidaten Karsten Strien.
Sollte eine etwaige Nachzählung dort auch nur eine Stimme mehr für Strien ergeben, wäre diese Wahlpanne womöglich mandatsrelevant. Wie der SPD-Politiker rbb|24 auf Anfrage mitteilte, behält er sich mögliche rechtliche Schritte nach einer genaueren Prüfung des Wahlergebnisses vor.
Strien erklärte, er habe bereits nach dem vorläufigen Ergebnis den Wahlbezirksleiter auf "Inkonsistenzen" im Wahlkreis 3 hingewiesen. Dieser habe ihm geantwortet, dass sich durch die Prüfung der Ergebnisse keine gravierenden Änderungen ergeben hätten und Unstimmigkeiten hätten aufgeklärt werden können. "Das nun vorliegende amtliche Endergebnis zeigt (auf den ersten Blick), dass einige Unstimmigkeiten tatsächlich ausgeräumt werden konnten, jedoch noch immer Inkonsistenzen bestehen bzw. Wählerinnen und Wählern ihr Recht auf Abgabe ihrer Erststimme vorenthalten wurde", so Strien.
Aber auch die Zweitstimmen waren betroffen. 1.213 Mal bekamen Wähler und Wählerinnen ungerechtfertigterweise keinen Zweitstimmzettel für die Abgeordnetenhauswahl. Insgesamt wurden - ohne eigenes Verschulden - mehr als 5.000 Mal Wählerinnen und Wähler der Möglichkeit beraubt, ihre Stimme abzugeben.
Falsche Stimmzettel in 24 Wahllokalen
1.608 Wähler und Wählerinnen bekamen falsche Stimmzettel für die Erststimme der Abgeordnetenhauswahl ausgehändigt. Diese Stimmen wurden von den Wahlausschüssen ungültig gewertet.
Als ursächlichen Grund macht dafür die Landeswahlleiterin Petra Michaelis nicht richtig sortierte Anlieferungen durch die Druckerei aus. Das Problem sei bereits im August bemerkt worden. In einigen Bezirken kontrollierten daraufhin Mitarbeiter:innen der Druckerei vor Ort die Wahlunterlagen; für die Wahllokale erstellte die Wahlleitung ein Informationsblatt.
Aber "offensichtlich konnte das Problem bei der Masse an Stimmzetteln nicht komplett beseitigt werden", sagt die Landeswahlleiterin Petra Michaelis laut Niederschrift.
73 Wahllokale vorübergehend geschlossen
Wegen fehlender Stimmzettel mussten laut Landeswahlleiterin 73 Wahllokale vorübergehend schließen und damit die Wahl unterbrechen. In diesen Wahllokalen waren insgesamt rund 48.000 Menschen für die Abgeordnetenhauswahl wahlberechtigt. Wieviele Wähler*innen genau durch die Schließungen eingeschränkt waren, lässt sich nur schwer berechnen.
Im Durchschnitt sei die Wahlbeteiligung in den zeitweise geschlossenen Wahllokalen höher als der Berlin-Durchnschnitt. In einzelnen Wahllokalen gibt es aber deutliche Ausreißer nach unten. Im Abgeordnetenhauswahlkreis 4 in Friedrichshain-Kreuzberg liegt die Wahlbeteiligung in Wahllokalen mit vorübergehender Schließung bei 60,3 Prozent. In den Wahllokalen, in denen druchgängig gewählt werden konnte, im selben Wahlkreis - also, in unmittelbarer Nachbarschaft - liegt die Wahlbeteiligung mit 69,3 Prozent deutlich höher.
In dem Wahlkreis liegt die unterlegene Direktkandidatin, Monika Hermann (Grüne), nur 211 Erststimmen hinter Damiano Valgolio (Linke).
Wählen um 20:56 Uhr
In etlichen Wahllokalen wurde noch bis weit nach 18 Uhr gewählt. Die Regel sagt: Wer zum Wahlschluss um 18 Uhr in der Schlange steht, darf noch seine Stimme abgeben. Erst um 20:56 Uhr war das in einem Wahllokal der Fall. In 344 Wahllokalen wurde bis 19 Uhr gewählt, in 74 Wahllokalen bis 20 Uhr und in sechs Wahllokalen war zwischen 20 Uhr und 20:56 Uhr Schluss.
In drei Wahllokalen im Pankower Wahlkreis 2 wurde die Wahl nach 18 Uhr wegen fehlender Stimmzettel abgebrochen. "Das Bezirkswahlamt geht davon aus, dass 138 Personen ihre Stimme nicht abgeben konnten", sagt die Landeswahlleitung.