Berliner Spitzenkandidaten | Kristin Brinker (AfD) - Weiche Schale, harter Kern
Kristin Brinker hat ein klares Alleinstellungsmerkmal unter den Spitzenkandidierenden. Als einzige weiß die AfD-Chefin jetzt schon, was sie nach der Wahl erwartet: die Opposition. Macht sie deshalb eher zurückhaltend Wahlkampf? Von Sabine Müller und Agnes Sundermeyer
Deutschlandfähnchen wehen im Wind, am Wahlkampfstand der AfD vor dem Einkaufszentrum in Pankow hält Kristin Brinker einen Fächer Flyer fest in der Hand. Sie tragen das Konterfei der AfD-Spitzenkandidatin. Doch in ihrer Hand bleiben sie auch.
"Hmm, ich geh da jetzt mal hin ... soll ich die Frau mal ansprechen?" Hilfesuchend wendet sich Brinker an einen Parteikollegen. Innerhalb einer Stunde verteilt sie nur wenige Flyer. Es sieht aus, als habe sie gar kein Interesse, auf die Wähler zuzugehen. "Mein Naturell ist zurückhaltend, ich bin nicht der Typ Rampensau. Aber jeder, der mich anspricht, kann gerne mit mir reden, da reagier ich auch sehr offen", erzählt sie.
Es ist ein vorsichtiger, fast schon verhuschter Auftritt, ohne jeden Hinweis darauf, dass diese Frau knallhart sein kann.
Heftige Auseinandersetzung mit Fraktionschef Pazderski
Kristin Brinker gehört nicht zu den Menschen, die sich ständig selbst belobhudeln. Aber eine Geschichte erzählt die 49-Jährige immer gerne: Wie sie eine Senatorin "vom Thron stieß". Das war im Sommer 2020. Als AfD-Finanzexpertin will Brinker per parlamentarischer Anfrage mehr über die Aufsichtsratsposten der Senatsmitglieder und ihre Einkünfte wissen. Die Antworten führen zum Rücktritt der linken Bausenatorin Katrin Lompscher, die Bezüge nicht versteuert hatte.
Brinker hat ihren größten politischen Erfolg eingefahren. Doch neun Tage später reicht sie selbst den Rücktritt ein – vom Amt als stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Ein Streit über die Finanzen der Fraktion ist eskaliert, Fraktionschef Georg Pazderski erhebt schwere Vorwürfe gegen seine Stellvertreterin. "Absurd", sagt Brinker. Sie geht trotzdem, aber nicht, ohne selbst hart auszuteilen, nennt den Umgang der Führung mit Mitarbeitern der Fraktion "menschenverachtend".
Spätestens seitdem verbindet sie und Pazderski eine innige Feindschaft. Wohl auch deshalb greift Kristin Brinker zu, als sich im März 2021 die Gelegenheit bietet, Pazderski und Beatrix von Storch als neue Parteivorsitzende zu verhindern. Völlig überraschend tritt sie zur Wahl an und wird – weil sie die Unterstützung des rechten Parteiflügels hat – mit hauchdünner Mehrheit gewählt.
Brinker-Vertraute machen ihrem Rivalen Pazderski danach unmissverständlich klar, dass er sich die schon angekündigte Spitzenkandidatur für die Abgeordnetenhaus-Wahl abschminken kann. Und so steht Anfang Juni Kristin Brinker als strahlende Spitzenkandidatin vor ihrer Partei – frisch gewählt ohne Gegenkandidaten und mit satter 90-Prozent-Mehrheit.
Ehrgeizig und mit langem Atem
Diesen Respekt der Parteimitglieder hat sie sich erarbeitet. Anderthalb Jahre lang scheiterten die früheren Landeschefs Georg Pazderski und Nicolaus Fest daran, einen Parteitag zu organisieren. Laut AfD wollte ihnen wegen Bedrohungen aus der linken Szene niemand einen Veranstaltungsort vermieten. Brinker organisierte innerhalb weniger Wochen ein Festzelt in Marzahn. So konnte die Partei zwei wichtige Listenaufstellungs-Parteitage abhalten. Erst seitdem ist die Berliner AfD wieder handlungsfähig.
Dass Kristin Brinker durchzieht, was sie sich in den Kopf gesetzt hat, zeigt ihr Werdegang. 1972 in Bernburg in Sachsen-Anhalt geboren, geht sie gleich nach der Wende mit 17 Jahren nach Berlin, um dort eine Ausbildung zur Bankkauffrau zu beginnen. Es folgt ein Architekturstudium an der Technischen Universität, wo sie später auch promoviert. Und zwar "ohne zu tricksen und zu täuschen", wie AfD-Parteifreunde mit einem Seitenhieb auf SPD-Spitzenfrau Franziska Giffey betonen.
2013 ist Brinker, die sich als liberal-konservativ verortet, Gründungsmitglied der Berliner AfD. Mit dabei auch ihr Ehemann Günter Brinker, ehemaliger Vorsitzender des Berliner Bundes der Steuerzahler. Auf ihrer Internetseite nennt die Immobilien-Managerin die Euro-Krise und das "Fehlen einer nennenswerten Opposition" zur Euro-Rettungspolitik als treibende Motivation, die AfD zu gründen.
"Ich bin kein Flügel, ich war nie Flügel"
Kristin Brinker ist nicht der Typ AfD-Politikerin, die in den sozialen Medien oder im Parlament mit offen rechtslastigen, rassistischen oder islamfeindlichen Parolen Hetze betreibt. Aussagen wie die ihres Berliner Parteifreundes Gottfried Curio, der vollverschleierte Musliminnen als "schwarzen Sack, der spricht (…) mit oder ohne Sprengstoffgürtel?" bezeichnete, hat man von ihr nie gehört.
Als Brinker im April für Schlagzeilen sorgt, weil sie die AfD im rbb als "parlamentarischen Arm" der Querdenker-Bewegung bezeichnet hat, rudert sie schnell zurück: Da sei sie missverstanden worden. Die Querdenker werden vom Verfassungsschutz beobachtet und mit dem Verfassungsschutz will die Berliner AfD nichts zu tun haben.
Erst kürzlich unterlag sie mit dem Versuch, dem Berliner Verfassungsschutz per Eilantrag zu untersagen, die Partei als Verdachtsfall einzustufen und zu beobachten. Das Verwaltungsgericht urteilte, die AfD habe gar nicht nachweisen können, dass der Verfassungsschutz die Partei überhaupt als solchen eingestuft habe. Trotzdem sah sich Kristin Brinker bestätigt, denn die Richter entschieden auch, dass Angaben zum offiziell aufgelösten, rechtsextremen Partei-Netzwerk "Der Flügel" aus dem aktuellen Verfassungsschutzbericht gestrichen werden müssen, weil sie nicht ausreichend belegt waren.
Brinker selbst betont: "Ich bin kein Flügel, ich war nie Flügel, ich werde das auch nie sein." Allerdings sagte sie direkt nach ihrer Wahl zur Landesvorsitzenden im März in einem Interview mit dem rbb, dass es für sie zuletzt entscheidend gewesen sei, mit den Mitgliedern des "Flügel" zusammenzuarbeiten: "Solange ich weiß, dass ich mit menschlich vernünftigen Mitgliedern der Partei arbeiten kann, die sich auch zusammenreißen, denen ich sagen kann, wo ich ein Problem sehe, finde ich das völlig in Ordnung, dass die auch dabei sind."
So haben unter dem Motto "Alle mitnehmen" in ihrem Landesvorstand auch Flügel-Anhänger und Höcke-Freunde, wie die stellvertretende Vorsitzende Jeannette Auricht, maßgeblichen Einfluss.
Regierungsbeteiligung als mittelfristiges Ziel
"Gefährlich" – dieses Wort fällt öfter, wenn die anderen Parteien über Kristin Brinker sprechen. Führende Grüne nennen sie "gefährlich, weil sie sehr harmlos daherkommt". Auch optisch: lange blonde Haare, immer adrett gekleidet, Perlenohrringe, meist lächelnd.
Ihr Gesicht kennen die wenigsten in der Stadt, nicht mal jeder Fünfte weiß, wer sie ist. Aber Kristin Brinker lässt keinen Zweifel daran, dass sie das ändern will und noch viel vorhat. Als ersten Schritt will sie nach der Wahl neben dem Parteivorsitz auch den Vorsitz der Fraktion übernehmen.
Mit Gegenwind muss sie dabei wohl nicht rechnen. Harald Laatsch, Parteikollege und langjähriger Vertrauter, ist sich sicher: "Mit ihrer Wahl zur Landesvorsitzenden und der Organisation der Parteitage hat sie sich immunisiert. An sie wird sich momentan keiner rantrauen."
Kristin Brinker hat die Aufgaben für die nächsten Jahre klar definiert: Schlagkräftige Oppositionsarbeit und die AfD koalitionsfähig machen, "Türen zu öffnen und entsprechende Gespräche zu führen, so dass wir spätestens in der übernächsten Legislatur eine Regierungsbeteiligung anstreben können", sagte sie. Dass die CDU, die Brinker als potentiellen Koalitionspartner nennt, solche Überlegungen mit Abscheu zurückweist und die AfD als "Feind" bezeichnet, lässt Brinker an sich abprallen.
Sie will mitregieren in der Stadt, von der sie laut eigener Aussage schon als kleines Mädchen geträumt hat und, über die sie sagt: "Ich habe hier mein Herz verloren."
Viele nette, harmlose Sätze wie dieser haben dazu geführt, dass Kristin Brinker oft als "das freundliche Gesicht der AfD" beschrieben wird. Sie selbst mag dieses Etikett nicht, weil sie meint, dass ihre Partei kein freundliches Alibi-Gesicht nötig hat. Ihre Gegner mögen das Etikett auch nicht, weil sie Kristin Brinker für genauso wenig freundlich halten wie den Rest der AfD.