Wahlkampfabschluss in Berlin - Das Ende einer rot-rot-grünen Beziehung
Vor der Berlin-Wahl stehen die Zeichen bei Rot-Rot-Grün auf Sturm: Vor allem die SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey grenzt sich scharf von den bisherigen Koalitionspartnern ab - und schaut in eine andere Richtung. Von Sebastian Schöbel
Wenn es die FDP braucht, um die streitenden Koalitionäre von SPD, Linken und Grünen zur Räson zu rufen, weiß man: Die Stimmung in der bisher rot-rot-grünen Regierung ist miserabel. "Hier ist doch niemandem damit geholfen, diesen Streit auf offener Bühne auszutragen", ruft FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja bei der großen rbb-Wahlarena in die Runde. Da hatte Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch gerade den Sozialdemokraten vorgeworfen, die landeseigenen Kliniken Charité und Vivantes mit Hilfe einer Wirtschaftsberatungsunternehmen zusammengespart zu haben. Zuvor hatte Giffey den Grünen ziemlich unverblümt vorgeworfen, der Stadt ihre Verkehrsideologie aufzuzwingen, am Bürgerwillen vorbei.
Geschichte der rot-rot-grünen Entfremdung
Der Berliner Wahlkampf ist eine Geschichte der rot-rot-grünen Entfremdung geworden. Vor allem SPD-Hoffnungsträgerin Franziska Giffey richtet den Kurs ihrer Partei konsequent konservativ aus und lässt kaum einen Zweifel daran, dass ihr eine Koalition mit CDU und FDP lieber sei. Die Christdemokraten nehmen das Angebot bereits vor der Wahl dankbar an: Was Giffey im Wahlkampf sage, sei "CDU pur", lobt deren Fraktionschef Burkard Dregger.
Öffentlich hält sich Giffey bedeckt, und so spekulieren Insider, dass sie den Preis für weitere fünf Jahre Rot-Rot-Grün schon vor der Wahl hochtreiben will. So will die SPD zum Beispiel das Stadtentwicklungsressort, das bisher von den Linken geleitet wird, in der nächsten Regierung übernehmen - weil Bauen "Chefinnensache" sei, so Giffey. Doch ob Linke und Grüne mit der Giffey-SPD überhaupt noch zusammenarbeiten wollen, ist nach diesem Wahlkampf zu bezweifeln.
Mehr Charlottenburg, weniger Kreuzberg
Mit dem Satz "Berlin ist nicht Bullerbü" watscht Giffey den grünen Traum von einer autofreien Stadt ab. Jarasch revanchiert sich und wirft Giffey vor, sie wäre "eine Regierende Bürgermeisterin, die nichts verändern will, weil sie eigentlich findet, dass alles gut ist, wie es ist". Giffey sei "ein Sandmännchen", sagt derweil Lederer. "Streut den Leuten Sand in die Augen und sagt: Schlaft mal schön, Mutti regelt schon alles."
Die Signale, die Giffey sendet, gehen ganz klar in Richtung der bürgerlichen Wählerschichten: Mit ihr als Chefin im Roten Rathaus würde es juristisch waghalsige Experimente wie den Mietendeckel, den ihr Parteifreund und Regierender Bürgermeister Michael Müller aktiv vorangetrieben hatte, nicht mehr geben. Die ökologische Mobilitätswende - also weg vom eigenen Auto hin zu Sharing-Angeboten, E-Fahrzeugen und dem Fahrrad - würde deutlich weniger radikal umgesetzt werden. Die Randbebauung des ehemaligen Flughafens Tempelhof will Giffey genauso wie die umstrittene Verlängerung der A100 im Berliner Südosten. Beides lehnen Linke und Grüne ab. Giffey wiederum lehnt das Volksbegehren zur Enteignung großer Immobilienunternehmen ab, anders als die beiden bisherigen Koalitionspartner.
SPD betreibt Wahlkampf wie eine Oppositionspartei
Und so betreibt die SPD einen Wahlkampf, als sei sie Oppositionspartei. Auf den letzten Metern scheitern rot-rot-grüne Vorhaben, die eigentlich beschlossene Sache waren - offenbar auf Geheiß der Spitzenkandidatin. Der letzte Teil des Mobilitätsgesetzes, bei dem es um Lieferverkehr und neue Mobilitätsformen gehen sollte, bleibt im Streit um Autoparkplätze und eine City Maut unvollendet - weil die SPD ihre Zustimmung verweigert. Genauso ergeht es auch der Novelle des Baugesetzes, mit der unter anderem eine Pflicht zur Dach- und Fassadenbegrünung eingeführt worden wäre. Kurz vor Ende der Legislaturperiode scheitert dann auch noch die Charta Stadtgrün, mit der vor allem Grünflächen gesichert werden sollten, am sozialdemokratischen Nein.
Machiavelli mit Herz(-Logo)
Aus SPD-Regierungskreisen bekommt die ehemalige Neuköllner Bezirksbürgermeisterin jede Menge Schützenhilfe: Von gemeinsamen Auftritten mit SPD-Senatoren bis zu Großveranstaltungen wie dem Freedom Dinner auf dem ehemaligen Flughafen Tegel. Hier hatte Giffey die Bühne für sich allein - auf Kosten des Landes Berlin, wohlgemerkt. Dass SPD-Finanzsenator Matthias Kollatz kurz vor der Wahl den milliardenschweren Kauf von 14.000 Wohnungen als Punktsieg für die SPD - und an Grünen und Linken vorbei - vorantrieb, wurde in Giffeys Wahlkampfteam wohl ebenfalls dankbar zur Kenntnis genommen.
Bis auf die Berliner SPD-Jugend widerspricht der Spitzenkandidatin in der Partei derzeit kaum jemand offen. Wohl auch, weil die Umfragen Giffey Recht geben. Vor einem Jahr dümpelte die SPD im BerlinTrend von rbb und "Berliner Morgenpost" mit 15 Prozent auf Platz drei in den Umfragen herum, gleichauf mit den Linken, weit hinter CDU und Grünen. Dann kam Giffey: Als mütterliche Kümmerin, die Berlin mit sanfter Strenge zur "Herzenssache" machen will, im Hintergrund aber knallhart die eigenen Truppen auf Linie und sich selbst auf Distanz zum rot-rot-grünen Senat bringt. Die Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit hinterließ kaum Eindruck. Inzwischen führt die SPD den BerlinTrend souverän mit 24 Prozent der Stimmen an, während die Grünen laut Umfragen kaum noch Hoffnungen haben dürften, die erste Regierende Bürgermeisterin stellen zu können.
Schwarz-gelb erwartet Giffeys Anruf
CDU, FDP und AfD spielen derweil nur Nebenrollen. CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner hat bis heute Bekanntheitswerte unter 50 Prozent, obwohl seine Plakate schon im Frühling auf Werbetafeln zu sehen waren. Dass er als Bundestagsabgeordneter der zweiten Reihe nur wenig Präsenz in den Berliner Debatten hat, mag ein Grund dafür sein, aber auch dass ihm Giffey wenig Platz als bürgerlich-konservative Alternative lässt. Nun droht Wegner ein historisch schlechtes Wahlergebnis.
Die FDP kann zwar hoffen, ihr Ergebnis von 2016 leicht zu verbessern, doch Spitzenkandidat Sebastian Czaja fehlt ein Aufregerthema wie 2017, als er vehement für den Weiterbetrieb des Flughafens Tegel warb und damit Aufmerksamkeit für die Liberalen bekam. Beide, CDU und FDP, wären wohl deutlich umgänglichere und vor allem anspruchslosere Koalitionspartner für Giffey als Grüne und Linke. Inhaltlich näher stehen sie sich ohnehin, rechnerisch würde die sogenannte Deutschland-Koalition laut den aktuellen Umfragen klappen.
Die AfD spielt in den Koalitionsoptionen keine Rolle, weil keine der anderen Parteien mit ihr ein Bündnis eingehen will. Sie schafft es aber auch nicht, den Wahlkampf maßgeblich zu beeinflussen. Die Partei zerrieb sich vor der heißen Wahlkampfphase in internen Machtkämpfen und einem Richtungsstreit, bei dem sich letztlich Spitzenkandidatin Kristin Brinker (sehr knapp) durchsetzte - mit Hilfe ehemaliger Unterstützer des radikalen "Flügels".
Offen ist allerdings, wie die Berliner SPD den wahrscheinlichen Wahlsieg verkraften wird. Denn eine Koalition mit CDU und FDP könnte für die Parteibasis zur Zerreißprobe werden. Noch aber hält Giffey alle Trümpfe in der Hand.
Sendung: Abendschau, 25.09.2021, 19:30 Uhr