Pannen am Wahlsonntag - Wann eine Wahl angefochten werden kann

Di 28.09.21 | 18:14 Uhr | Von Iris Sayram
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Warteschlange vor dem Wahllokal im Rundfunk Berlin Brandenburg am 26.09.2021. (Quelle: rbb/Winkler)
Bild: rbb/Winkler

Schlange stehen sind nicht nur Berliner Berghain-Fans gewohnt. Was am Wahlsonntag passiert ist, könnte aber für einige ein guter Grund sein, ihren Einspruch gegen die Wahl geltend zu machen. Welche Möglichkeiten gibt es? Von Iris Sayram

Sie wurden gerufen und kamen zahlreich: Viele motivierte Wählerinnen und Wähler waren aber dann am Super-Wahlsonntag bitter enttäuscht, als sie nicht nur stundenlange Wartezeiten in Kauf nehmen mussten, sondern auch noch an der Wahlurne mit verwechselten – oder nicht vorhandenen – Stimmzetteln zu kämpfen hatten. Manche Wahllokale mussten sogar kurzfristig schließen.

Wie sind die Pannen am Wahlsonntag zu bewerten?

Man müsse bei allem Ärger differenzieren, "ob es sich um reine Unannehmlichkeiten handelt, oder wirklich justiziable Wahlfehler vorliegen", sagt Verfassungsrechtler Christian Pestalozza rbb|24. Nur wenn Fehler in der Organisation dazu führen, dass man von seinem grundrechtlich verbrieften Stimmrecht nicht ordnungsgemäß Gebrauch machen kann, kann laut Pestalozza, eine Wahl anfechtbar sein. Gewisse Wartezeiten seien daher vor allem in Pandemie-Zeiten zu tolerieren. Das betonte auch die Landeswahlleiterin Petra Michaelis bei ihrer Pressekonferenz einen Tag nach der Wahl.

Jedoch ist ebenfalls klar, dass stundenlanges Warten vor allem Älteren ab einem gewissen Punkt nicht mehr zugemutet werden kann – und so auch das Stimmrecht vereitelt werden könnte. Und mit Sicherheit problematisch ist es, wenn Stimmzettel fehlen oder gar vertauscht werden. Timm Beichelt, Politikwissenschaftler an der Viadrina, bewertete gegenüber dem rbb insbesondere die Nichtverfügbarkeit von Stimmzetteln als kritisch. Auch sei eine neutrale Stimmabgabe nicht möglich, wenn trotz Prognose und Hochrechnungen, Wahllokale bis 20.15 Uhr auf hätten. "Politikinteressierte Menschen könnten anders wählen, wenn sie schon Prognosen kennen", so Beichelt.

Wann ist eine Wahl anfechtbar?

Grundsätzlich hat jeder Wähler und jede Wählerin die Möglichkeit, Einspruch gegen eine Wahl einzulegen, wenn er oder sie meint, dass gegen einen oder mehrere Wahlrechtsgrundsätze verstoßen wurde.

Dennoch: "Ein bloßer Wahlfehler führt nicht per se zu einer Anfechtbarkeit einer Wahl", sagt Rechtsexperte Pestalozza. Vielmehr sei es auch erforderlich, dass sich dieser Fehler wirklich auf die Zusammensetzung der Parlamente ausgewirkt hat – die sogenannte Mandatsrelevanz –, also wenn ein Kandidat vielleicht nur wegen dieses Wahlfehlers keinen Sitz im Abgeordnetenhaus bekommen hat. Chaos in einem Berliner Wahllokal könne für die Bundestagswahl vielleicht noch in der Masse der Wahlkreise untergehen. Für das Abgeordnetenhaus könnte das indes anders aussehen.

Es gibt verschiedene Einspruchsmöglichkeiten für alle Wahlberechtigten – je nachdem, ob es um die Bundestagswahl oder die Abgeordnetenhauswahl geht.

Wie und wann kann ich Einspruch gegen die Bundestagswahl einlegen?

Bei der Bundestagswahl ist ein Einspruch direkt an den Bundestag zu richten. Dabei sollte so konkret wie möglich der vermutete Wahlfehler beschrieben werden. Die Frist für diesen Einspruch beträgt zwei Monate ab dem Tag der Wahl. Wer einen Einspruch einlegen möchte, hat also bis zum 26. November 00.00 Uhr Zeit seinen Fall schriftlich vorzutragen. Das ist auch per Fax möglich. Eine E-Mail reicht allerdings nichts aus. Die Adresse lautet: Deutscher Bundestag, Wahlprüfungsausschuss, Platz der Republik 1, 11011 Berlin.

Dieses Verfahren ist kostenlos. Lehnt der Bundestag den Einspruch ab, gibt es die Möglichkeit, eine Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzulegen.

Nach der Bundestagswahl 2017 hat es übrigens 275 Einsprüche gegeben.

Wie und wann kann ich einen Einspruch gegen die Abgeordnetenhauswahl einlegen?

Geht es um die Abgeordnetenhauswahl, ist das Verfahren einstufig. Hier müssen die Einsprüche direkt an den Verfassungsgerichtshof Berlin gerichtet werden – ebenfalls schriftlich. Dort wird geprüft. Bei diesem Verfahren beginnt die Einspruchsmöglichkeit erst, wenn das offizielle Endergebnis der Wahl im Amtsblatt verkündet wurde. Damit wird aktuell für den 14. Oktober gerechnet. Danach haben Betroffene noch einen Monat Zeit.

Einen Anwaltszwang gibt es hier nicht. Das Verfahren ist auch kostenlos. Es empfiehlt sich aber vor dem Gang zum Gericht, sich erstmal an die Landes- oder Bezirkswahlleitung zu wenden. Denn die Eingabe an das Gericht unterliegt formal strengen Regeln.

Was geschieht, wenn der Einspruch erfolgreich ist?

Es kann dann dazu kommen, dass in dem betreffenden Wahlkreis oder Wahlgebiet eine Wahl wiederholt werden muss. Es ist jedoch noch nie vorgekommen, dass eine ganze Wahl zu Fall gebracht wurde. Aber auch die Wiederholung in nur kleinen Teilen kann für einige Betroffene und auch Abgeordnete wichtig sein, deren Einzug ins Parlament nur an wenigen Stimmen gescheitert ist. Auch sie könnten die Wahl in Teilen anfechten.

Wer trägt die politische Verantwortung?

Am Montag nach der Wahl war es auffällig still im Roten Rathaus, wo auch Innensenator Andreas Geisel (SPD) seinen Sitz hat. Die Landeswahlordnung regelt eindeutig, dass die Aufsicht bei der Senatsinnenverwaltung liegt. Die Pressestelle verweist gegenüber rbb|24 aber darauf, dass dies nur eine sogenannte Rechtsaufsicht sei, sie beziehe sich damit nicht auf die unmittelbare Durchführung der Wahl.

Was am Wahlsonntag vorgefallen ist, werde aber aufgearbeitet: "Insofern wird die Innenverwaltung von der Landeswahlleitung und den betroffenen Bezirkswahlämtern entsprechende Berichte anfordern, um den Senat von Berlin über den Wahlablauf informieren zu können", schreibt die Senatsinnenverwaltung.

Landeswahlleiterin Petra Michaelis hat daher gerade viel zu prüfen und viel zu berichten, auch der Bundeswahlleiter Georg Thiel verlangt eine Erklärung. Zahlreiche Beschwerden gingen zudem auch schon direkt bei ihr ein.

Sendung: Inforadio, 28.09.2021, 17 Uhr

Beitrag von Iris Sayram

16 Kommentare

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  1. 16.

    Eben nicht. Es muss immer zuerst das mildeste Mittel angewandt werden. Eine komplette Neuwahl wäre ebenfalls nicht verhältnismäßig. Denkbar wäre es, die betreffende Wahllokale neu wählen zu lassen.

    Aber dabei stellt sich die Frage nach der Briefwahl.

    Lasst es runfsch so und fertig ist. Am Endergebnis ändert sich eh nichts.

    Die Berliner haben unsinnig gewählt. Das wird auch durch teilweise Neuwahlen nicht besser

  2. 15.

    Da haben sie vollends recht. Wenn ich mir aber die Kommentare hier ansehe, haben das einige noch nicht geschnallt oder wollen es nicht schnallen wie im Kommentar 9.

  3. 14.

    Ja, das sehe ich auch so, denn irgend wann muss das auch mal aufhören mit den Sprüchen; Es handelt sich ja nur um Einzelfälle. Wenn ein Einzelfall nicht mehr Mensch ist der ein Anspruch auf sein Recht hat, dann können wir die Demokratie auch gleich abschaffen!

  4. 13.

    Dieses Wahlchaos in Berlin ist einfach nur peinlich und die Wahlleiterin tut das mit Überforderung ab. Das war wohl eher Selbstüberschätzung und Unfähigkeit.
    Ich kann die Bürger verstehen, die jetzt eine Wahlwiederholung fordern. Viele waren sicher nicht bereit stundenlang anzustehen und sind nach Hause gegangen. Also ist das Ergebnis nicht 100% korrekt.

  5. 12.

    Auch wenn es nur in einzelnen Wahlbezirken oder Lokalen einen Grund zur Anfechtung gibt, müsste die Wahl komplett widerholt werden.
    Denn das Wissen über das Ergebnis ist doch nun eindeutig vorhanden und dazu auch noch wer mit wem koalieren würde.
    Es geht nur ganz oder garnicht.

  6. 11.

    Diese Problematik hätte vermieden werden können, wenn rbb und ZDF die Prognosen erst veröffentlicht hätten, nachdem alle gewählt hatten. Und sei es erst um 21 Uhr.

  7. 10.

    Ich sehe das so, wie es Prof Ulrich Battis in der Abendschau vom 27.09.21 bereits angemerkt hat: Jeder Bürger hat das Recht, die Wahl anzufechten. Meiner Meinung nach lief die in ein paar Wahlbezirken so chaotisch, dass zumindest dort die Wahl wiederholt werden sollte'

  8. 9.

    Wer durch Pannen bei der Wahl im Wahllokal benachteiligt wurde und nun Neu- oder Nachwahlen fordert ist doch bestimmt derart sauer, das er seine Wahlbenachrichtigung noch hat. Man könnte ja auch das für das angewiesene Wahllokal vorliegende Wählerverzeichnis versuchen einzusehen, ob da ein Haken dran ist oder nicht. Für solche Unterlagen gibt es doch bestimmt Aufbewahrungsfristen. Es sollte unter denkenden Menschen doch möglich sein, sich zu koordinieren. Sicher kann man auch in Foren seine Geschichte schreiben. Nur ändert das nix.

  9. 8.

    @Kalle: es soll Menschen geben, die taktisch wählen.
    Oder aus anderen Gründen zwischen z.B. zwei Parteien schwanken. Oder haben Sie ernsthaft EINE Partei, die IHRE Meinung VOLL und GANZ wiederspiegelt?
    Ich habe - per Brief - taktisch und "das kleinste Übel" gewählt. Meine Rechnung ist aufgegangen. Aber das hätte auch anders kommen können und wenn man die ersten Prognosen oder Hochrechnungen sieht, könnte man durchaus umschwenken.

  10. 7.

    Vielleicht sollte hier die Zeit „nun Smartphone „ eingeführt werden. Sobald Hochrechnungen da sind… neue Zeitrechnung auch bei den Wahlen.

  11. 6.

    " Soviele waren untenschlossen und ich hätte mich auch anders entschieden, wenn ich um 18 Uhr die ersten Hochrechnungen gesehen hätte und noch angestanden hätte. "

    Sie wissen also nicht wen oder was sie wählen sollen und orientieren sich daran was andere gewählt haben? Sie brauchen dringend Nachhilfe in Demokratie.

    Wir sind hier nicht bei DSDS oder wie das heißt.

  12. 5.

    Streng genommen müssten dann ja Briefwähler von den Neuwahlen ausgenommen werden, da sie ihr Stimme ja schon vor dem Wahltag abgeben haben. Nachwählen müssten also nur die dürfen, die eben am Wahltag selbst zum Wahlbüro gekommen sind.

  13. 4.

    Ich bin da ganz bei Ihnen. Soviele waren untenschlossen und ich hätte mich auch anders entschieden, wenn ich um 18 Uhr die ersten Hochrechnungen gesehen hätte und noch angestanden hätte. Der Senat kann sich hier nicht aus seiner Verantwortung ziehen. Unvermögen und Realitätsentfremdung eines Berliners Senats dürfen nicht zu Lasten einer demokratischen Wahl gehen. Gut dass dies nicht in einem Berliner Hinterzimmer, sondern öffentlich entschieden wird. Ich schäme mich mittlerweile een Berliner zu sein.

  14. 3.

    Naja, unschön sind die Pannen. Die Frage ist aber doch, ob sie eine Auswirkung auf das Ergebnis hatten, sprich das Ergebnis entscheidend verändert haben oder eben nicht. Ehe wir Aufwand verursachen, der zu nichts führt, bleiben wir doch lieber auf dem Teppich, oder?

  15. 2.

    Natürlich haben sie Recht und das sind genau die zwei wesentlichen Argumente die in erster Linie Auswirkungen auf die Landestageswahl- aber, wenn auch in geringerem Ausmaße, auch auf die Bundestagswahl haben. Erst zu wählen wenn ich erste Ergebnisse kenne ist absurd und wiederspricht so ziemlich allem was wir uns auf die demokratische Fahne schreiben. Aber es wird, auch nach vielen Protesten und Einsprüche, nichts geschehen.

  16. 1.

    Es gab zwei große Probleme bei der Senats-Wahl in Berlin:
    - nach den ersten offiziellen Prognosen 18:00 wurde noch stundenlang weiter gewählt
    - es soll Fälle gegeben haben, wo Menschen von ihrem Wahlrecht nicht Gebrauch machen konnten wegen fehlender oder falscher Unterlagen, auch noch nach 18:00
    Das geht beides gar nicht. Die Wahl sollte nachgeholt werden.

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