Analyse | Parteitage SPD, Grüne und Linke - Die Berliner Koalition ist sich nicht mehr rot-rot-grün
Das Super-Parteitagswochenende im Super-Wahljahr: Parallel legen SPD, Grüne und Linke in Berlin ihre Wahlprogramme und Kandidaten für die Abgeordnetenhauswahl fest. Es wurde auch zum Stimmungstest von Rot-Rot-Grün. Von U. Schuhmacher, J. Menzel und S. Schöbel
Dass der rot-rot-grüne Senat nicht gerade reibungslos arbeitet, hat man seit der Wahl 2016 immer wieder erlebt. Regelmäßig rasselten SPD, Grüne und Linke aneinander, nicht nur hinter verschlossenen Türen, sondern durchaus auch ganz öffentlich: Kopftuchverbot, Wohnungsbau, Polizeigesetz, ÖPNV-Ausbau, Radwege… die Liste der Differenzen war lang. Und sie wird im Wahljahr nicht kürzer, eher im Gegenteil.
Das haben die drei parallel veranstalteten Parteitage von SPD, Linken und Grünen am Wochenende sehr deutlich gemacht.
Die SPD: Giffey und Saleh im Rollenwechsel
Sich an Koalitionspartnern kräftig abzuarbeiten, hat auf Parteitagen der Berliner SPD durchaus eine gewisse Tradition. Auch Franziska Giffey und Raed Saleh haben seit sie Landesvorsitzende sind gezeigt, dass sie in dieser Art des Stichelns nicht unerfahren sind. Mal bekommen die Grünen ihr Fett weg, wenn Giffey und Saleh ihnen eine ideologische Verkehrspolitik gegen das Auto vorhalten. Die Linken muss sich regelmäßig anhören, dass die SPD wieder die mächtige Stadtentwicklungsverwaltung zurückerobern möchte – damit der Wohnungsneubau so richtig Fahrt aufnimmt.
Auf diesem Parteitag ist davon nichts zu hören. Keine Attacke gegen Rot-Rot-Grün. Nicht einmal ein hartes Wort in Richtung der oppositionellen CDU aus dem Munde der offiziell gewählten Spitzenkandidatin Franziska Giffey. Sie konzentriert sich ganz auf ihr Programm und streichelt die Parteiseele. Die Attacke fährt dafür der Co-Landesvorsitzende Raed Saleh. Er nimmt den gescheiterten Mietendeckel zum Anlass, CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner anzugehen. "Verlogen" und "verrückt" sei, was Wegner mache. Die CDU habe den Mietendeckel bekämpft und stehe nicht für Mieterinteressen sondern für Lobby-Interessen, kritisiert Saleh. So kann Arbeitsteilung zwischen zwei Landesvorsitzenden also auch aussehen.
Programmatisch hat Giffey ihre Partei auf einen Kurs getrimmt, der auch die Überschrift tragen könnte "Keine Experimente". Giffey hat dafür den Slogan "Die fünf B’s" ersonnen. Das sind Bauen, Bildung, beste Wirtschaft, Bürgernähe und Berlin in Sicherheit. Ein Fünfklang, für den die SPD sprachliches Holpern in Kauf nimmt. Soziale Sicherheit ist ohnehin immer ein roter Faden im SPD-Programm. Giffey tritt zudem als Garantin der Mitte an. Das zeigt sich etwa beim Umgang mit dem Volksbegehren "Deutsche Wohnen und Co enteignen".
Enteignungen lehnt Giffey klar ab, sie setzt auf Zukauf von Wohnungen und Neubau und grenzt sich damit von der Linken ab. Gegenüber den Grünen ist es die Autobahn-Frage, die den Unterschied deutlich machen soll. Die SPD bekennt sich zur A 100 bis zum Treptower Park. Die Bauarbeiten für diesen Bauabschnitt laufen schon. Ob die Stadtautobahn später über die Spree bis Friedrichshain verlängert wird, lassen sie Sozialdemokraten offen. Sie wollen die Entscheidung mit einer Bürgerbefragung herbeiführen.
Die Grünen: Jarasch moderiert aus der Spitzenposition
Die Berliner Grünen strahlten an diesem Samstag vor allem eins aus: Harmonie und Einigkeit, was absolut außergewöhnlich ist bei diesem Landesverband. Das Ziel des Wahlsiegs auf Bundes- und Landesebene befriedet auch die Berliner Grünen, jedenfalls nach außen. Auch die grüne Spitzenkandidatin, Bettina Jarasch, war in ihrer Parteitagsrede wenig auf Krawall gebürstet.
Ein paar Spitzen und Positionen zum politischen Gegner gabs dann aber doch. Der SPD bescheinigte sie, zu lang den Regierenden Bürgermeister gestellt zu haben und nahm das als Grund für einen nötigen Wechsel. "Wenn eine Kraft zu lange regiert, ob gut oder schlecht. Dann ist sie erschöpft.", so Jarasch. Ihr erklärtes Ziel ist es bekanntlich, selbst Regierende Bürgermeisterin zu werden, als erste Grüne in Berlin.
Auch in der Verkehrspolitik nahm sich Jarasch die SPD vor. Es gehe nicht nur darum, in den Autos den Motor zu wechseln, in der Stadt 20.000 Ladesäulen zu bauen und sonst alles beim Alten zu lassen, wie das die SPD wolle. "Dann hat man die autogerechte Stadt gerettet, aber nicht die Zukunft". So Jarasch. Mehr Abrechnung mit den Sozialdemokraten war nicht, das lässt Raum für Bündnisse nach dem Wahltag. Die Linke erwähnte Jarasch in ihrer kurzen Rede hingegen mit keinem Wort.
Auch die Kritik an CDU und FDP fiel sachlich aus. Ohne jede Schärfe sagte Jarasch, CDU und FDP haben den Mietendeckel zum ideologischen Irrweg erklärt, "weil Politik den Marktpreis regulieren wollte." Das sei aber keineswegs revolutionärer Sozialismus, so Jarasch, wenn Politik fürs Gemeinwohl Preise reguliere. "Es ist Marktwirtschaft!" Die EU tue nichts anderes, wenn sie höhere CO2-Preise festlege, wie gerade geschehen.
Dass Jarasch nicht mehr Kritik an der politischen Konkurrenz übte, war sicher auch der Tatsache geschuldet, dass ihre Redezeit auf sieben Minuten begrenzt war. So viel Zeit wurde jedem eingeräumt, der sich um einen Listenplatz bewarb. Erklärtermaßen sollte und wollte Jarasch da keine Ausnahmeregelung bekommen. Aber auch in sieben Minuten wäre mehr Attacke möglich gewesen. Jarasch hat sich dagegen und für die Konzentration auf ihre Hauptthemen Klimaschutz und Wohnen entschieden. Letztlich folgt die grüne Spitzenkandidatin damit ihrer Ankündigung, einen anderen Ton anzuschlagen in der Politik.
Die Linke: Klare Kante gegen "die Franzi"
Zuletzt waren die Linken eher der Ruhepol des rot-rot-grünen Senats: Der Spitzenkandidat stand schon lange fest, Rangeleien Kandidaturen fürs Berliner Parlament oder den Bundestag gab es keine, und selbst der Wechsel an der Fraktionsspitze gelang ziemlich reibungslos. Doch spätestens seit SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey offen den Mietendeckel hinterfragt und nun den Linken das Stadtentwicklungsressort streitig machen will, weil sie vermeintlich zu wenig bauen, hängt der rot-rote Haussegen schief.
Beim Parteitag wurde deutlich, wie stark die Abneigung der Linken gegenüber der neuen starken Frau der Berliner SPD ist. "Wenn Frau Giffey jetzt mit der CDU antichambriert, dann ist das nur ein weiterer Grund, die Linke stark zu machen", sagte Linken-Landeschefin Katina Schubert. Sozialsenatorin Elke Breitenbach stichelte, Giffey kenne Probleme wie Obdachlosigkeit nur von ihrer "Herzenssache"-Wahlkampftour. "Der Unterschied ist, dass ich nicht durch die Stadt reise, und mir alles angucke, ich kenne das, ich handle." Als Spitzenkandidat Klaus Lederer dann auch noch mit einem marginal besseren Ergebnis gewählt wurde als Giffey, gratulierte Schubert gut hörbar: "Franzi hast du schon mal geschlagen."
Sei es beim Bau von Straßenbahn- statt U-Bahnlinien, der Enteignung von Immobilienkonzernen und der Regulierung des Mietmarktes, der Bebauung des Tempelhofer Feldes oder dem Weiterbau der A100, den die Linken, genauso wie die Grünen, strikt ablehnen: Die Linken haben auf ihrem Parteitag klar gemacht, dass sie sich im Wahlkampf nicht nur gegenüber dem "Hauptgegner CDU", wie Schubert es nennt, abgrenzen.
Fazit: r2g geht zerstritten in den Wahlkampf
Mehrfach wurde der dauerstreitenden rot-rot-grünen Koalition in Berlin das frühe Aus prognostiziert. Nun wird sie sich wohl bis zur Wahl im September schleppen. Doch es werden wohl harte Monate für alle Beteiligten: SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey grenzt sich deutlich gegenüber Grünen und Linken ab und umwirbt die Wähler der Mitte mit Positionen, die auch die CDU vertritt - was sie vor allem mit den Linken auf Konfrontationskurs bringt. Denen wird immer klarer, dass sie es in der Mietenpolitik mit Giffey deutlich schwerer haben würden als mit Michael Müller - und müssen dennoch die Kröte schlucken, dass sie nur mit der SPD eine Chance aufs Mitregieren haben. Die Grünen sind derweil merklich bemüht, sich keine Koalitionsoption im Wahlkampf zu zerstören. Spitzenkandidatin Bettina Jarasch übt sich in der Rolle als sachliche Reala, die wenig aneckt und sich ihre Führungsposition in den Umfragen nicht durch allzu aggressives Auftreten kaputt machen will. Ihre Präferenz ist klar eine weitere Legislaturperiode mit SPD und Linken - ihre einzige Option ist es aber nicht.
Dem Arbeitsklima im Senat dürfte das freilich nicht helfen.
Die Kommentarfunktion wurde am 26.04.2021 um 08:01 Uhr geschlossen
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